22.05.2014
Camino del Norte
Der Camino del Norte gehört in Spanien, wie die Via de la Plata und der Camino francés zum Netz der Jakobspilgerwege.
Die Nachricht von der Entdeckung des Grabes von Apostel Jakobus, gegen Ende des ersten Jahrtausends, verbreitete sich über die christlichen Gebiete im Norden Spaniens und allmählich auch im restlichen Europa. Da jedoch der grösste Teil der iberischen Halbinsel von den Mauren besetzt war oder doch zumindest ihre kriegerischen Einfälle erleiden mussten – 924 n. C. wurde Pamplona zerstört, 997 n. C. Santiago de Compostela geplündert – waren die Pilger gezwungen, die unwegsame und anstrengende Strecke an der kantabrischen Küste zurückzulegen.
Beim 855 km langen Küstenweg, der an der französisch-spanischen Grenze beginnt, handelt es sich um den ersten europäischen Jakobsweg. Der Weg durchquert die spanischen Regionen: Baskenland, Kantabrien, Asturien und Galicien. Wegen der vielen Höhenunterschiede stellt er hohe Anforderungen an die Wanderer.
Wir werden dem Weg nur ca. 350 km von Gijon nach Bilbao und zwar in entgegengesetzter Richtung folgen. Da es ein ausgesprochener Wanderweg und kein Velowanderweg ist, werden wir uns an die Strassen halten und uns ev. noch einige Rosine herauspicken, die nicht unbedingt am Camino liegen.
Gijon – Bilbao
Gijon – Villaviciosa
31 km, 433 kum. Hm
Montag, 12. Mai 2014
Heute schnupperten wir erstmals an der Nationalstrasse. Sie ist im Vergleich zu den Nationalstrassen, die wir kennen eher schmal und kurvenreich. Keiner der es eilig hat, wird diese Strasse benützen, schon gar nicht die 40 t-Lastwagen.
Auf der ersten Etappe hat sie sich jedenfalls bewährt. Leider verlaufen Küstenstrassen nicht flach den Sandstrand entlang, sondern sie können echte Herausforderungen sein, wie wir schon in Sardinien und Südwestengland erlebt haben. So auch heute, keuchend und schwitzend bergauf, locker und fröstelnd bergab.
Die unbewohnten Weiten sind Vergangenheit, das Land hier ist viel dichter besiedelt, als z. B. die Extremadura. Stattliche Häuser stehen am Strassenrand, in den Vorgärten gedeiht Gemüse.
Neben den Wohnhäusern steht auf Pfählen ein quadratischer Speicher, mit freistehender Treppe, so dass Mäuse und Ratten nicht ihr Unwesen treiben können.
Zum Standard gehören auch ein Zitronenbaum und vor allem Apfelbäume. An der Nordküste steht nicht Wein zuoberst auf der Getränkeliste, sondern Sidra, ein ca. 6 %-tiger Apfelmost.
Traditionell wird er hier auf eine ganz besondere Weise eingeschenkt. In einem weiten Bogen giesst der Kellner das kühle Nass von der Flasche über den Kopf in das Glas. Zweck der Übung soll sein, dass wie beim Dekantieren des Weines, möglichst viel Sauerstoff in den Apfelmost zu bringen, um so dessen Geschmack zu verbessern. Der Kellner übergibt dem Gast das wenig eingeschenkte Glas direkt in die Hand, der es dann, ohne es abzusetzen oder vorher zuzuprosten, zügig austrinkt. Sollte er es nicht in einem Zug austrinken, schüttet er den Rest in den „Wasserrinne“ entlang der Theke. Wir versuchten dieses Getränk auch, aber ehrlich gesagt, ein Schweizer Ramseier schmeckt uns besser. Armin ass dazu eine „Fabada“ , ein deftiger Eintopf aus dicken, weissen Bohnen, Speck und Würsten. Weisse Bohnen und Apfelmost, und das am Hochzeitstag!
Unser erster Etappenort an der Nordküste war Villaviciosa, ein kleiner, schmucker Ort, an Ende eines Fjordes gelegen. Je nach Gezeiten liegt der Ort am Meer.
Hier legte im Jahr 1517 das Schiff an, mit dem der junge, spanische Thronfolger aus Flandern kam, um als König Karl I. sein Königreich in Besitz zu nehmen. Zwei Jahre später wurde er als Nachfolger Maximillian I. als deutscher Kaiser unter dem Namen Karl V. gekrönt.
Villaviciosa – Ribadesella
45 km, 608 kum. Hm
Dienstag, 13. Mai 2014
Eigentlich war der Wetterbericht für den heutigen Tag gut. Doch in der Nacht hatte es geregnet und die letzten Wolken hingen noch über der Bucht. Kaum waren wir startbereit und hatten uns auf die Räder geschwungen, entleerte sich der Himmel erneut über uns. Wasserdicht eingepackt ging es weiter. Nach einer Stunde, als dann alles nass war, verzogen sich die Wolken und es wurde ein sonniger Tag. Wir pickten uns eine Rosine, abseits des Camino heraus und radelten nach Lastres, einem schmucken Fischerdörfchen, in die Felsen der Steilküste gebaut.
Es wurde eine wunderschöne Etappe, rechts von uns die schroffen Berge, links der nahe Ozean. Wir krochen den Berg hinauf, durch kleine Bergdörfer. Wäre nicht der Atlantik in unmittelbarer Nähe, man hätte sich im Tessin geglaubt.
Die Ängste, eines Hungertodes zu sterben oder draussen, umgeben von wilden Tieren, zu übernachten, können wir definitiv ablegen. Immer wieder lädt eine Kaffeebar zum Verweilen ein oder ein Hotel preist seine Betten an. Zu den Margriten und Klee am Wegesrand gesellen sich noch gelbe Lilien und wilder Baldrian.
Wer aber mit der mediterranen Flora verschwunden ist, sind unsere Freunde, die Störche. Nur der Kuckuck ist uns treu geblieben.
Schon kurz nach Mittag hatten wir unser Tagesziel Ribadesella erreicht, ein altes Fischerdorf, in einer Bucht gelegen. Der Ort hat sich zu einem beliebten Touristenort gemausert. Jenseits der Bucht wurde eine schreckliche Retortensiedlung gebaut. Im August soll der Touristenstrom die Einwohnerzahl um ein vielfaches übertreffen.
Ribadesella – Llanes
30 km, 296 kum. Hm
Mittwoch, 14. Mai
Ein schöner wolkenloser Morgen erwartete uns. Das Thermometer einer Apotheke zeigte lediglich 8° C. Frisch und ausgeruht traten wir in die Pedalen und radelten Richtung Osten, der Sonne entgegen. Ein starker, kalter Gegenwind blies um unsere Ohren und forderte unsere Kräfte. Auf dem schmalen Band zwischen Ozean und Bergen stiessen wir einige Ausrufe der Entzückung aus. Für unseren Znünihalt suchten wir eine Sitzbank oberhalb einer Badebucht aus, im Hintergrund das Rauschen des Meeres.
Um die nächste Kurve, kaum einen Kilometer weiter, war uns der Blick auf die schneebedeckten Picos de Europa, in Kombination mit Kuhglockengeläut, gegönnt.
Der Camino kreuzte einige Male die Strasse und wir sind erstaunt, wie viele unentwegte Wanderer und Radfahrer aus allen verschiedenen Ländern auf diesem anspruchsvollen Weg unterwegs sind.
Zum Glück hatten wir keine lange Etappe geplant, denn der Kraftaufwand gegen den Wind war nicht zu unterschätzen. Ausserdem lohnte sich der Halt in Llanes. Der mittelalterliche Ort gehört mit seinen drei Stränden zu den bekanntesten Badeorten an der asturischen Küste. Die Hauptsehenswürdigkeit sind die „Erinnerungswürfel“ eines baskischen Malers. Im Jahr 2001 hat er am Ende der Hafenmole die grossen Steine wunderbar farbig bemalt.
Llanes – San Vicente de la Barquera
39 km, 442 kum. Hm
Donnerstag, 15. Mai 2014
Der Tag begann wiederum sonnig, etwas wärmer als am Vortag. Bei der Routenwahl hatten wir so unsere Mühe. Auf unseren Karten war ausser der Nationalstrasse nur eine geplante Autobahn auf dem immer noch schmalen Streifen zwischen Bergen und Meer eingezeichnet. Deshalb hatten wir schon gestern in der Touristeninformation für eine Alternative nachgefragt. Die Dame dort überreichte uns einen Prospekt für den Küstenwander- und Veloweg. Getrost machten wir uns auf den Weg, doch es happerte schon mit dem Einstieg. Im ersten Dorf fragten wir ein zahnloses Mütterchen nach dem Senda costiera. Sie verwies uns auf die kleine Landstrasse, einen anderen Weg gäbe es hier im Dorf nicht. Wir schoben unsere Räder die steile kleine Landstrasse hinauf, bis der gesuchte Weg unsere Strasse kreuzte. Wir begutachteten den Weg und mussten zugeben, ein idealer Wanderweg, aber Radfahren, mit Gepäck und nicht ganz schwindelfrei?
Nein, wir wollten kein Risiko eingehen. Wir drehten eine Ehrenrunde und kehrten auf die Nationalstrasse zurück. Ausser dem ständigen Kampf gegen den Wind, ging anfangs alles gut, die Autobahn schien gebaut, der Verkehr ruhig. Aber die Autobahn ist noch nicht fertig gebaut. Bald mussten wir die Strasse wieder mit Lastwagen etc. teilen, die kilometerlange Baustelle der Autobahn durchfahren, der Gegenwind blies uns den Staub in die Augen, alles andere als idyllisch! Wir mussten uns derart auf die Strasse konzentrieren, dass wir nicht einmal bemerkten, dass wir Asturien verlassen und Kantabrien erreicht hatten. Eigentlich achteten wir beide sehr genau auf Wegweiser und Strassennummern, trotzdem gelangten wir auf eine Art Autobahn, die wir aber bei der nächsten Ausfahrt wieder verliessen. Prompt nahm uns gleich die Polizei an Ende der Ausfahrt in Empfang und machte uns freundlich darauf aufmerksam, dass dies keine Strasse zum Velofahren sei. Das hatten wir ja auch bemerkt. Warum wohl haben wir die Strasse gleich wieder verlassen? Wenigstens zeigten sie uns die richtige Strasse um nach San Vicente de la Barquera zu kommen. Schliesslich hatten wir nur noch den Kampf gegen den Wind zu gewinnen. Alles in allem, war es eine garstige Etappe. Der freundliche Etappenort konnte schliesslich wieder einiges gutmachen.
San Vicente de la Barquera – Santillana del Mar
29 km, 457 kum. Hm
Freitag, 16. Mai 2014
Heute Morgen galt der erste Blick aus dem Fenster nicht dem Himmel, sondern den Fahnenstangen Ein erstes Aufatmen unsererseits, die Fahnen hingen schlaff an den Masten herunter. Petrus hatte anscheinend Atemnot, ein Glück für uns. Wenn man auf Meereshöhe übernachtet, gehört es zum Morgentraining erst einmal 150 Hm zu überwinden, um wieder auf das Plateau hinauf zukommen. Als wir dies geschafft hatten, tat sich ein herrlicher Blick vor uns auf. Wir fühlten uns ins Appenzellerland versetzt, nur am Horizont nicht der Bodensee, sondern das kantabrische Meer. Unser Krafteinsatz war denn auch dementsprechend, ein ständiges auf und ab, auf einer Nebenstrasse, die uns allein gehörte. Pflichtbewusst, wie Schweizer Bauern mähten die Bauern das Gras und es roch nach frischem Heu. Ein Blick zurück und die Picos de Europa entfernten sich immer mehr von uns.
Eine grosse Entschädigung für die garstige Etappe von gestern. Als wir so zügig vorwärts kamen, spielten wir mit dem Gedanken, unserem Tagesziel noch einige Kilometer dazuzugeben. Doch als wir in den Ort Santillana del Mar einfuhren, war es für uns beide klar, hier bleiben wir.
Es heisst, dass dies die Stadt dreier Lügen sei, da sie weder heilig (Santi), noch flach (llana) ist und auch nicht am Meer (del Mar) liegt. Doch wen kümmert das, bei einem so gut aussehenden Lügner. Dieses mittelalterliche Juwel mit seinen hellen, gepflasterten Strassen und den wettergegerbten Fachwerkhäusern, ist so gut erhalten, dass es fast zu schön ist um wahr zu sein.
Die Menschen hier vererben ihre kostbaren Häuser von Generation zu Generation.
Santillana del Mar – Santander- Somo
41 km, 421 kum. Hm
Samstag, 17. Mai 2014
Wiederum ein idealer Tag zum Velofahren erwartete uns. Man riet uns, auf der Nationalstrasse nach Santander zu fahren. Doch schon nach einigen Kilometern fanden wir diese Idee nicht gut. Die Gegend ist dichter bewohnt, einiges an Industrie steht am Strassenrand. Der Verkehr war ziemlich rege und am Samstagmorgen müssen die jungen Spanier ihre Ferraris und ihre Mustangs bewegen und hatten den Bleifuss auf dem Gas. Bald fanden wir eine Alternative über die verschiedenen Streusiedelungen fernab von der Hauptstrasse. Der Bäcker lieferte gerade die Brote an die verschiedenen Haushalte. Auch wir bekamen etwas ab, mit einem grossen und breiten Lachen schenkte er uns einen Beutel „Trockenfutter“. Bald waren aber unsere schönen Zeiten vorbei und wir mussten zurück auf die Hauptstrasse und die letzten 15 km im regen Verkehr möglichst schnell hinter uns zu bringen. Nach der letzten Steigung, die es in sich hatte sahen wir bereits auf Santander herunter.
Santander wurde im Jahr 1941 von einer Feuersbrunst fast gänzlich zerstört und danach als elegante Stadt im einheitlichen Stil wieder aufgebaut. Heute ist Santander mit seinen kilometerlangen Stadtstränden und seiner idealen Lage am Nordrand einer weiten Bucht einer der elegantesten Badeorte in Nordspanien.
Trotz der Eleganz, uns gelüstete es nicht zum Verweilen. Sicher hätte es ein paar lauschige Ecken gegeben, wo man die Seele hätte baumeln lassen können. Aber das Gedränge in der Fussgängerzone und der stockende Autoverkehr gingen uns dermassen auf die Nerven, dass es uns weiterzog. Wir nahmen uns nicht einmal die Zeit, nach einem Luxusschiff Ausschau zu halten, das uns nach Hamburg gebracht hätte. Tja, beim Radeln wird man manchmal von den verrücktesten Ideen überfallen.
Wir gaben uns mit der kleinen Fähre zufrieden, die uns auf die andere Seite der Bucht nach Somo brachte.
Der Ort lebt hauptsächlich vom Wassersport. Armin und ich setzten uns in den Sand, mit Faserpelzjacke und langen Hosen bekleidet, während die Hartgesottenen auf den Wellen ritten oder ihre nackte Haut in den letzten Sonnenstrahlen bräunten.
Somo – Santona
31 km, 343 kum. Hm
Sonntag, 18. Mai 2014
Sonntag, kurz nach 8:00 h morgens, im Haus neben dem Hotel beginnt der Plattenleger seine Keramikfliesen zu fräsen. Zeit für uns, uns auf die Socken resp. Räder zu machen. Nochmals ein Gang zur Küste und nochmals ein Blick zurück nach Santander im Morgenlicht.
Der Sonnenschein, die frische Meeresluft und die angenehme Temperatur gaben uns den nötigen Schwung, um die vor uns liegenden Hügel zu überqueren.
Locker kamen wir kurz nach Mittag in Santona an. Der Ort ist ebenfalls schön in einer Bucht gelegen. Ausser einem langen Sandstrand bietet der Ort nicht viel Sehenswertes. So haben wir nach einer Dusche ein gutes Mittagsmahl genossen, sind an der Uferpromenade flaniert und uns für die nächste Etappe vorbereitet.
Santona – Castro Urdiales
32 km, 420 kum. Hm
Montag, 15. Mai 2014
Schon vor Tagen kündigte Meteo Spanien für heute Regen an, doch es blieb bei wechselnder Bewölkung.
Für die letzten zwei Radetappen wurde uns von verschiedenen Seiten, bezüglich Höhenmeter, die Hölle heiss gemacht. Aber als erstes liessen wir uns von einer kleinen Personenfähre über die Bucht nach Laredo übersetzen.
Diese setzte uns mitten im Sandstrand ab, sodass wir einmal mehr mit vereinten Kräften Velo um Velo durch den Sand an den Strassenrand schieben mussten.
Das touristische Laredo liegt auf einer ca. 3 km langen Landzunge, von Sandstrand umgeben. Zwei Einbahnstrassen führen durch die Wohnblöcke. Leere Wohnungen, eine Geisterstadt – Ferienwohnungen oder Opfer der Finanzkrise, oder beides?
Als dieser fürchterliche Ort hinter uns lag, brachten zwei steile Anstiege uns ganz schön ins Schwitzen. Die nahe Autobahn entlastete unsere Strasse stark und wir mussten sie nur mit einigen Pilgern teilen.
Erstaunlich schnell erreichten wir Castro Urdiales, ein Ort der einen Besuch wert war. Der Hafen und das Gewirr schmaler Gassen, die das mittelalterliche Zentrum von Castro Urdiales bilden, werden von der stolzen, gotischen Kirche überragt. Die Kirche teilt sich die kleine Landzunge mit den Ruinen dessen, was Jahrhunderte lang die Verteidigungsanlage der Stadt darstellte und heute nur noch als Sockel für den Leuchtturm dient.
Während wir im Trockenen den Rückflug in die Schweiz buchten, entleerte sich ein gewaltiges Gewitter über Castro Urdiales.
Castro Urdiales – Bilbao
41 km, 579 kum. Hm
Dienstag, 20. Mai 2014
Heute starteten wir auf unsere letzte Etappe unserer diesjährigen Velotour durch Spanien. Die Gewitterwolken hatten sich verzogen und trotz schlechter Prognosen, schien es ein schöner Tag zu werden. Wir wussten es im Voraus, heute werden wir gefordert. Nach der Übernachtung auf Meereshöhe gleich wieder der übliche Aufstieg, nur etwas steiler und etwas länger, weitere folgten.
Wiederum teilten wir die Strasse nur mit einigen Pilgern, die uns schon früh entgegenkamen. Auf der letzten Passhöhe in Kantabrien setzten wir uns in einer Kaffeebar an die Sonne, stolz auf unsere Leistung, und lobten die friedliche Strasse. Wenige Kilometer weiter, bereits im Baskenland, war es mit dem Frieden endgültig vorbei. Die Umgebung von Bilbao ist geprägt von der Eisen- und Stahlindustrie. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich wegen des in der Nähe abgebauten, hervorragenden Eisenerzes eine leistungsfähige Stahlindustrie, deren Bedeutung erst in den 1970er Jahren zurückgegangen ist. Schon im ersten Ort ragten die Hochkamine in den Himmel, der Verkehr wurde immer reger und unangenehmer. In der Region um Bilbao leben ca. 1 Million Menschen, deshalb war es keine einfache Sache, wirklich ruhige Nebenstrassen zu finden.
Doch einige Kilometer vor Bilbao gelangten wir auf den Pilgerweg, eine ausgediente, asphaltierte Strasse, entlang des Rios Nervion, der uns fast bis an Ziel führte. Bilbao selbst verfügt über ein ausgesprochen gutes Fahrradwegnetz. Mit ruhigem Puls und normalen Adrenalinspiegel erreichten wir nach 1350 km und 12 444 Höhenmetern unser Ziel Bilbao.
Müde, zufrieden und dankbar für die unfallfreie und fast pannenfreie Veloreise sanken wir ins Bett und gleich in den Tiefschlaf.
Bilbao
21. – 23. Mai 2014
In unseren Köpfen herrschte die Meinung, Bilbao sei eine triste, öde Industriestadt, die ausser dem berühmten Guggenheim-Museum nicht viel zu bieten habe.
Aber schon bei unserer Ankunft mussten wir unsere Meinung rasch revidieren. Es ist eine vitale, vibrierende, kulturell dynamische und doch irgendwie eine stressfreie Stadt. Die Hauptstadt des Baskenlandes liegt schön eingebettet in den grünen Bergen des „Pais Vasco“, ungefähr 20 km vom Meer entfernt.
In der Mitte durchschneidet der „Ria de Bilbao“, der Kanal des Flusses Nervion, die Stadt.
Man merkt es schnell, die Stadt hat gute Zeiten hinter sich. Prachtvolle Parks, Grünanlagen, grosszügige Uferpromenaden dem Kanal entlang, elegante Einkaufsstrassen, Häuser mit vornehmer Architektur, Museen und eine gemütliche Altstadt mit unzähligen Tapas-Bars zeichnen die Stadt aus.
Hier wird nicht spanisch, sondern baskisch gesprochen. Diese Sprache gilt als eine der ältesten und merkwürdigsten Sprachen Europas, die keinerlei Verbindung zur indoeuropäischen Sprachfamilie aufweist. Im Mittelalter wurden die umliegenden Provinzen, wie Kantabrien romanisiert. Aber die nationalistischen Basken wehrten sich stets mit Erfolg für ihre Eigenständigkeit. Dem baskischen Nationalismus liegt zu Grunde, dass das baskische Volk von seiner Identität und kulturellen Einzigartigkeit überzeugt ist.
Nur während der Franco-Zeit wurde die baskische Sprache unterdrückt, konnte aber schliesslich zu einer Amtssprache Spaniens avancieren. Zwar führten Francos Repressionen dazu, dass viele ältere Basken ihre Muttersprache nicht mehr sprechen können, doch heute wählt eine wachsende Zahl junger Basken ganz bewusst Baskisch als Ausdruck einer eigenen Identität.
Nun blicken wir zurück auf 5 ½ Wochen Velofahren von Süden nach Norden und weiter Richtung Osten in Spanien, meistens bei Sonnenschein, nur drei Mal wurden wir verregnet, aber bei kühlen Temperaturen. Die Faserpelzjacke war unsere ständige Begleiterin. Die kurzen Hosen hätten wir getrost zu Hause lassen können. Auf dieser Reise wurden wir von den Kaltduschern zu den Warmduschern. Wiederum hatten wir viel Glück bezüglich Unfällen und Pannen. Wir wurden nie von Wildschweinherden überfallen. Dieses Mal bringen wir wieder alle Velohosen nach Hause zurück. Die liegengebliebene Trinkflasche geht auf meine Kosten. Die Hotelschlüssel haben wir immer abgegeben und mussten deswegen keine Spezialeinsätze tätigen.
Auf der ganzen Reise waren die Leute immer freundlich und hilfsbereit, zeigten uns gerne den Weg und wünschten uns „buen camino“ oder „buen viaje“. Besonders Richtung Santiago de Compostela wird man mit sehr viel Respekt behandelt. Ja, wir Schweizer könnten noch viel lernen, auch bezüglich Sauberkeit! Oft fragten wir uns, gehen Schweizer Politiker eigentlich nie ins Ausland in die Ferien und halten die Augen offen oder besuchen sie nur „5 Sterne-Retortenanlagen“, wo es Rösti mit Bratwurst gibt?
Wir hatten auch dieses Mal wieder einige Begegnungen, die uns beeindruckten, so der 77 jährige, frische Franzose, der auf dem Camino del Norte nach Santiago de Compostela marschiert oder der Österreicher, der 19 Operationen hinter sich hat, 27 Monate im Krankenhaus lag und nun mit einem neuen Herzen in der Brust nach Santiago pilgert, oder Jean-Paul, den wir auf der Via de la Plata getroffen haben. Mit ihm haben wir einige Male SMS ausgetauscht, er dürfte Santiago am 23. Mai erreichen. Auf beiden Pilgerwegen waren erstaunlich viele Frauen alleine unterwegs. Hut ab! Unter den Velofahrern waren sehr viele Iren und Briten, mit etlichen Jahrringen. Sie kommen von Südengland mit der Fähre nach Nordspanien.
Nun kehren wir wieder mit vielen positiven Erfahrungen und Eindrücken nach Hause zurück.
Und wenn Armin das Wort „Carreterra“ richtig aussprechen und deuten kann, lade ich ihn ein, in ein wunderschönes Parador-Hotel in Spanien. Das Wort bedeutet „Landstrasse“ und ist keine Ortschaft und schon gar keine Carretta!