Burgos – Castrojeriz 52 km
Castrojeriz – Carrión de los Condes 47 km
Carrión de los Condes – Mansilla de las Mulas 86 km
Mansilla de las Mulas – León 19 km
León – Astorga 55 km
Astorga – Molinaseca 48 km
Molinaseca – Villafranca del Bierzo 32 km
Villafranca del Bierzo – O Cebreiro 34 km
O Cebreiro – Sarria 46 km
Sarria – Palas de Rei 49 km
Palas de Rei – Perdrouzo 50 km
Perdrouzo – Santiago de Compostela 18 km
Santiago de Compostela – Cee 74 km
Cee – Finisterra 15 km
Da ein Arbeitstag bevorstand, verlief die zweite Nacht in Burgos einiges ruhiger, deshalb schliefen wir gut und tief. Vor der Abfahrt in Burgos wurden wir erst von einem italienischen Paar und dann noch von einem deutschen Pilger fotografiert. Warum auch immer – Exoten? Wahrscheinlich erscheinen diese Bilder in der „Frankfurter Allgemeinen“ und im „Corriere della Sera“.
Wir liessen die Stadt hinter uns und machten uns auf, auf die kastilische Meseta. Diese Hochebene auf ca. 800 – 900 m über Meer, erstreckt sich auf etwa 200 km zwischen Burgos und Leon. Dieser Landstrich ist berüchtigt für beissende Winterkälte, flimmernde Sommerhitze und nimmermüde Winde zu allen Jahreszeiten. Viele Pilger schrecken davor zurück und steigen bis Leon in den Bus. Ihnen entgeht aber ein einmaliges Naturerlebnis, denn die Schönheit liegt im Detail. Uns zeigte sich diese Hochebene von der besten Seite. Sonnenschein pur, eine leichte Brise, die Weite des Himmels und zu dieser Jahreszeit unendliche, dunkelgrüne Getreidefelder, soweit das Auge reicht. Sonst nichts, keine Kuh, kein Schaf, keine Ziege, kein Huhn! Ab und zu erscheint in einer kleinen, windgeschützten Talsenke ein kleines Dörfchen.
Dorf auf der Meseta an geschützter Lage
Sind die Erdhäuser in Madetswil eine Kopie?
Wir fahren in den Himmel!
Dass da die Winde wehen können, zeigen die vielen Energie erzeugenden Windräder. Anlage reiht sich an Anlage, da wird voll auf alternative Energie gesetzt.
Spanien setzt auf Windenergie
Einsam und allein radelten wir durch die fast unbeschreibbare Landschaft, bis wir zur Ruine San Anton kamen. Das halbverfallene Bauwerk gehört zu den sonderbarsten Ruinen am Weg. Da die heutige Landstrasse strikt dem historischen Pilgerweg folgt, verläuft sie mitten durch das Bogengewölbe, das einst Kirche und Kloster verband.
Ruine San Anton
Nur wenige Kilometer nach dieser Sehenswürdigkeit erreichten wir unser Etappenziel, Castrojeriz, das wohl längste Dorf am Jakobsweg.
Castrojeriz
Petrus wird langsam versöhnlich, denn er bescherte uns einen zweiten, angenehmen Tag auf der Meseta. Wieder machte es den Eindruck, als wären wir allein auf dieser Welt. Der leichte Rücken-wind schob uns vorwärts und liess uns durch die Kornkammer Spaniens gut vorankommen. Früher wurden diese unendlichen Felder von Menschenhand bestellt, heute werden sie von grossen Ma-schinen bearbeitet. Das führte dazu, dass die Menschen keine Arbeit mehr fanden und in die grossen Städte gezogen sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele kleine Dörfer sind ausgestorben und die alten Häuser verfallen.
In den grösseren Ortschaften überragen nicht mehr Kirchen und Kathedralen die Wohnhäuser, sondern Getreidesilos, wie zum Bespiel in Fromista und unserem Etappenort Carrion de los Condes.
Getridesilos
Verschiedene Bewässerungssysteme wurden in dieser Region gebaut, vom kleinen Stausee bis zu Kanälen und modernen Anlagen.
Auf dem Canal de Castilla wurde früher das Getreide bis zum Atlantik transportiert, heute wird der Kanal nur noch für die Bewässerung genutzt.
Canal de Castilla
Etwa 20 Kilometer lang verlief der Pilgerweg parallel zu unserer schnurgeraden Strasse, ohne Baum oder jeglichen Schutz oder Schatten. Im heissen Sommer oder bei Regen könnte das bei manchem Pilger auf das Gemüt schlagen.
Pilgeerautobahn, rechts überholen gestattet!
Ein dritter Tag war uns auf der Meseta beschert. Noch gut 100 km trennten uns von Leon, der letzten grösseren Stadt vor Santiago de Compostela. In unserem Radführer waren Horrorgeschichten über die letzten Kilometer vor dieser Stadt zu lesen. So beschlossen wir, heute möglichst nahe an Leon heranzufahren, um dann am folgenden Tag dieses gefährliche Stück ausgeruht in Angriff zu nehmen. Zwar hatten wir am Abend zuvor besprochen, dass beim Verlassen von Carrion de los Condes der Weg am Kloster San Zollo vorbeiführen wird. (Der Jakobsweg führt ausnahmslos an Klöstern und Kirchen vorbei!)
Kloster San Zollo
Aus unerklärlichen Gründen war Armin heute plötzlich anderer Meinung und wir folgten der Strasse durchs Dorf. Ich trat in die Pedalen, spurte auf der Strasse nach Leon ein und glaubte Armin würde mir folgen. Nach einer Kurve hielt ich an und wartete eine Weile, kein Armin erschien. So fuhr ich ein Stück zurück, aber vom Göttergatten war keine Spur zu sehen. Da stieg der Adrenalinspiegel schon mal für kurze Zeit an. Plötzlich sah ich ihn auf einer ganz anderen Strasse mit gesenktem Kopf vorbeischiessen, keinen Blick für mich, trotz unübersehbaren roten Jacke und lauter Rufe! So blieb mir nichts anderes übrig, als ihm schreiend zu folgen. Glücklich, dass wir uns wieder gefunden hatten, setzten wir unsere Fahrt, am Kloster vorbei, fort. Nach der Mittagspause in Sahagun hatten wir das nächste Problem mit der Streckenführung. Bei grossem Kreisel- und Strassengewirr verpassten wir die richtige Strasse und landeten auf der Pampas, zwar immer noch auf dem Jakobsweg, aber auf steiniger und staubiger Piste. Mühsam kamen wir vorwärts, waren dann am Abend in Mansilla de las Mulas doch erstaunt, dass wir 86 km heruntergeraspelt hatten.
Keine Zeit für ein Bier - nur Zeit für ein Föteli!
Nun lag die grosse Herausforderung vor uns, die restlichen 20 km nach Leon auf teils enger, starkbefahrener Strasse mit vorbeidonnernden Camions zu meistern. Wir hofften, dass hier, wie in der Schweiz Auffahrt gefeiert würde und die Lastwagen wegfallen würden. Leider ging unsere Rechnung nicht auf, in Spanien ist das ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag. In Puente Villarente gibt es eine schmale, lang gezogene Brücke, die man als Pilger oder Velofahrer überqueren muss. Wenn da zwei 40-t-Lastwagen kreuzen, gibt es keinen Platz mehr für ein Lebewesen, geschweige denn für zwei vollbepackte Velofahrer. Kein Lastwagenfahrer würde nur mit der kleinen Zehe die Bremse wegen eines Radfahrers berühren. Susis Herz raste schon am Morgen um 6:00 h, dass die Wände zitterten. Mutig starteten wir in unser Abenteuer und irgendwie erreichten wir beide lebend das andere Ende der Brücke. Anschliessend wählten wir den Wanderweg. Die Devise war: Lieber steinig, steil und staubig, als sich dem vorbeirasendem Verkehr auszusetzen. Das Positive am Jakobsweg ist, er führt immer direkt ins Zentrum zur Kirche oder Kathedrale in die Stadt. So schafften wir diese 20 km relativ einfach. Unser Führer gab uns einen guten Tipp für die Übernachtung. Wir suchten die kleine Pension mit Waschservice, mitten im Zentrum von Leon, auf, schleppten unsere Räder in den 2. Stock, gaben unsere Wäsche in Arbeit und machten uns auf den Streifzug durch die Stadt.
Gaudipalast in Leon
Kathedrale Leon
Intelektuelle unter sich
Da 20 km eine angenehme Wanderetappe ist, trafen wir bald wieder einige bekannte Gesichter vom Vorabend.
Nach dem Fotoshooting beim Morgenessen (dieses Mal erscheinen wir in der schwedischen Presse) fuhren wir aus dem Zentrum der Stadt, Richtung Kloster San Marcos, wo in einem Teil ein Parador Hotel untergebracht ist.
Kloster und Paradorhotel San Marcos
Die Parador Hotels sind nicht ganz billige Hotels in historischem Gemäuer und in ganz Spanien vertreten. Irgendwann einmal auf unserer Reise werden wir uns eine Nacht in einem dieser Hotels leisten.
Über die alte Brücke verliessen wir die Stadt. Trotzdem wir die Wegbeschreibung x-mal gelesen hatten, plagte uns das Gefühl, dass wir irgendwie im Vorort herumirrten. Einige Male fragte Armin bei Einheimischen nach dem Weg. Aber es ist immer dasselbe, ob in Spanien oder in einem anderen Land. Die Ortsansässigen weisen uns immer auf den direkten, verkehrsreichen Weg. Warum auf einer ruhigen Nebenstrasse einen Umweg fahren, wenn es einen direkteren Weg zum Ziel auf der Hauptstrasse gibt? Wir mussten dann feststellen, dass wir doch nicht ganz so falsch gefahren waren. Hinter Leon erreichten wir bald den Pàramo, das Oedland.
Páramo
Puente de Órbigo eine der längsten Brücken auf dem Jakobsweg
Nun ganz so oed ist das Land um diese Jahreszeit nicht. Die Weizenfelder sind zwar verschwunden und eine steppenartige, blühende Vegetation nimmt deren Platz ein. Wiederum alleine auf weiter Flur radelten wir durch die wenigen Dörfer. Petrus konnte es nicht lassen und liess die Winde wehen, von vorne, von der Seite kamen die Böen, nur nicht von hinten. Eine Zeitlang zweifelten wir, ob wir unser Ziel in Astorga überhaupt erreichen würden. Unsere Mühen hatten sich gelohnt und wie geplant erreichten wir doch noch unser Ziel. Am Horizont wurde bereits die nächste Herausforderung sichtbar: die Bergkette mit dem auf 1500 m gelegenen Cruz de Ferro. Im geschichtsträchtigen Astorga erwartete uns wiederum eine riesige Kathedrale und ein von Gaudi entworfener Bischofspalast.
Der Pero Mato auf der Kathedrale - das Wahrzeichen von Astorga
Glockenspiel Astorga
In diesem Ort kreuzen sich zwei Verkehrswege aus römischer Zeit. Einerseits die aus Bordeaux kommende Via Traiana und die aus Sevilla kommende Via de la Plata, auf der wir in einigen Wochen nordwärts fahren werden.
Hinter Astorga beginnt die Region der Maragarita. Diese Flecken ist bekannt für folgende kulinarische Spezialität: die Cocido Maragato, dessen Eigenart darin besteht, dass die Zutaten getrennt und in ungewöhnlicher Reihenfolge gegessen werden. Zuerst gibt es das Fleisch: Schinken, Bauchspeck, Blutwurst, Paprikawurst, Hühnerfleisch, Schweinefüsse, – Ohren und Maul und den Relleno (Füll-stoff), eine Art Kloss aus Eiern, Brot, Knoblauch, Petersilie, Würsten und Speck. Danach gibt es Ki-chererbsen, Kartoffeln, Gemüse und Kohl. Zuletzt wird eine Nudelsuppe gereicht. Über den Ursprung streitet man sich. Waren es die Fuhrleute, die, um das Fleisch nicht kalt zu essen zu müssen, es der Suppe vorzogen? Oder waren es Napoleons Truppen, die, jederzeit einsatzbereit, mit den deftigen Gängen begannen, um im Notfall eher die Suppe stehen zu lassen? Da wir weder Fuhrleute sind, noch in kriegerischer Mission unterwegs sind, verzichteten wir auf eine Kostprobe dieser Speise.
Da der starke Wind von gestern einige dunkle Wolken und am Abend leichter Regenfall heran transportiert hatte, fragten wir uns, wie unsere Königsetappe auf den Cruz de Ferro wohl ausfallen würde. Der erste Kontrollblick am Morgen liess uns die Regenmontur anziehen, der zweite Blick nach dem Morgenessen, liess sie uns wieder ausziehen. Petrus hatte wieder einiges an Wind auf Lager, nur keinen Rückenwind. Unverwüstlich, wie wir sind nahmen wir unseren 2000sten Kilometer unter die Räder, sagten uns „No Pain – No Glory“ und kämpften uns durch die Maragateria, über die Montes de Léon bis auf 1500 m. Die karge und struppige Landschaft verwandelte sich bald in ein blühendes Blumenmeer. Violetter Lavendel, gelber Ginster, weisses bis dunkelrosa Heidekraut und orchideenartige Blumen hat die Natur geschmackvoll arrangiert.
Foncébadon, das letzte Dorf vor der Passhöhe, war bereits ausgestorben und fast verfallen. Mit der neuen Pilgerbewegung wurde der Ort wiederbelebt.
Aussicht von Foncébadon
Früher wurden die Pilger in dieser verlassenen Gegend von Wölfen und Räubern überfallen, heute besteht diese Gefahr glücklicherweise nicht mehr. Etwa 2 Kilometer nach Foncébadon erreichten wir die wohl schlichteste, aber eindrucksvollste Stelle auf dem Jakobsweg: das Cruz de Ferro. Aus einem Steinhaufen ragt ein langer Eichenpfahl, darauf ein einfaches Eisenkreuz.
Seit Jahrhunderten legten hier Pilger einen Stein aus ihrer Heimat nieder und warfen somit ihre Seelenlast ab. Auch wir hatten einen Stein aus unserem Garten dabei.
Symbolisch begruben wir alle unsere unfähigen Chefs, ohne jegliche Sozialkompetenz, die wir während unserer Arbeitsjahre ertrugen, unter diesem Steinhaufen. Die fähigen Vorgesetzten behalten wir gerne in guter Erinnerung.
Schade, ein riesiger Reisecar mit einem ebenso grossen Veloanhänger, aus unserem nördlichen Nachbarsland, hatte sich auch zum Cruz de Ferro aufgemacht um seine Klientel hier auszuladen, damit sie anschliessend auf 15 km die 1000 Höhenmeter hinunter sausen konnten. Wir empfanden das als eine Entwürdigung dieser Stelle. Pilger, die x-hundert oder tausend Kilometer marschiert sind, müssen diese Art von Tourismus als Beleidigung empfinden.
Ausser dem kalten, bissigen Wind, hielt sich das Wetter recht gut. Für die anschliessende Talfahrt waren gute Bremsen gefragt. Wir waren froh, dass wir unten im Tal, in Molinaseca, zwar einmal mehr durchfroren, aber heil ankamen.
Molinaseca
Noch mit etwas Sand in den Augen starteten wir in den neuen Tag. Da bald wieder Höhenmeter gefragt waren, entschieden wir uns, zwecks besserer Etappeneinteilung, für eine Kurzetappe. Wir beschlossen, die Fahrt durch die Region des Bierzo zu geniessen. El Bierzo liegt in einem grossen Talkessel, rundum von Bergen umgeben, was zu einem mediterranen Klima führt. Die Region ist sehr fruchtbar und wird auch Garten Eden Spaniens genannt. Kirschen, Äpfel und Wein werden hier angebaut, die Gemüsegärten sind prallvoll. Der hiesige Wein wird teurer gehandelt als eine gute Flasche Rioja. Vom milden Klima verspürten wir nicht viel, zwar gab keinen Wind mehr, aber die Temperatur blieb weiterhin frisch.
Kurz vor Ponferrado zweigte der Jakobsweg auf eine asphaltierte Nebenstrasse ab. Wir befanden die Strasse als Velo tauglich und folgten ihr, bald aber ging sie in einen Kiesweg über und schliesslich führte nur noch eine schmale Spur durchs hohe Gras. Auf dem Kiesweg konzentrierte ich mich voll auf den Weg, sah dann doch einmal nach vorne und dachte: Da vorne stimmt etwas mit der Zusam-mensetzung nicht mehr! Armin schaute wie ein Hase aus dem hohen Gras, sein Velo stand wie ein störrischer Esel ca. 1,5 m daneben. Im Gras hatte es einen ca. 20 cm grossen Bordstein, der Armins Velo abrupt stoppte und ihn abwarf. Zum Glück war die Landung im hohen Gras weich und weder Armin noch das Velo trugen irgendwelchen Schaden davon.
Templerburg in Ponferrada
Schon am frühen Nachmittag erreichten wir Villafranca del Bierzo. Nach einer warmen Dusche schlenderten wir durch den relativ kleinen Ort und staunten nicht schlecht über die vielen Kirchen und Klöster.
Villafranca del Bierzo
In einer Bar an der Sonne verfielen wir dann wieder unserer neuen Leidenschaft: Spanischer Weisswein und frisch zubereitete Tapas!
Heute stand die vermeintlich letzte grosse Herausforderung an Höhenmeter vor uns, das Bergdorf O Cebreiro auf 1300 m Höhe und somit auch das Tor zu Galizien.
Kurz nach 8:00 h morgens, bei lediglich 7° C und bewölktem Himmel, schwangen wir uns auf die Räder, radelten die ersten 20 km gemütlich entlang dem Rio Valcarce bis nach Vega de Valcarce. Von 627 m stieg es dann auf den folgenden Kilometern steil bergan. Drei Strassen wurden im Laufe der Zeit durch dieses Tal gebaut. Erst bauten die Römer die erste Strasse, die lange Zeit genügte. Vor nicht allzu langer Zeit wurde eine bestens ausgebaute Nationalstrasse verwirklicht und als man wieder genügend Geld hatte, wurde noch eine Autobahn gebaut. Wir benutzten die alte verkehrsarme Römerstrasse. Je höher wir kamen, desto mehr blies uns wieder ein kalter, rauer Wind ins Gesicht.
Blick nach Galizien
Kurz nach Mittag erreichten wir das Bergdorf, einmal mehr durchfroren. Bevor wir uns irgendwo aufwärmen konnten, ging zuerst der Kampf ums Bett los. Je näher Santiago de Compostela rückt, desto rarer werden die Betten. Unser Reiseführer hatte uns schon vorgewarnt und erwähnt, dass die Pilgerherberge dauernd ausgebucht ist und dass im Sommer die Armee zusätzlich Zelte aufstellt. So wussten wir, wählerisch durften wir nicht sein. Das erste Hotel war bereits ausgebucht, das Zweite ebenfalls. Beim Dritten konnten sich 6 Spanier mit der Wirtin nicht über den Preis einigen, zu unseren Gunsten. Keinen Kilometer wären wir mehr gefahren bei dieser Kälte. Wir fragten uns, ob wir in Santiago de Compostela gleich einen Flug nach den Kanarischen Inseln buchen sollen. Das Duschwasser wurde wieder wärmer eingestellt und wir meckerten wieder über den kalten Steinboden im Badezimmer. Das rustikale Restaurant des Hotels glich einer gemütlichen Skihütte. Mit zwei lustigen Pilgerinnen aus Bayern, die wir zuvor schon in Molinaseca und Villafranca del Bierzo getroffen hatten, verbrachten wir einen gemütlichen Abend. Draussen blieb es trüb, feucht und neblig. Diese vorweihnächtliche Stimmung hätte uns fast dazu gebracht „Feliz Navidad“ zu singen.
"Skihütte" in O Cebreiro
Pallozas einst Unterunft für Mensch und Tier
Es war übrigens der Dorfpfarrer dieses Dorfes, der in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts seine Doktorarbeit über den Jakobsweg schrieb.
Erfinder der gelben Pfeile als Jakobswegmarkierung
1984 markierte er erstmals den Weg von Frankreich bis Santiago de Compostela mit gelben Pfeilen. Diese gelben Pfeile sind bis heute Wegweiser und Markierung für den Camino.
Eine Anekdote erzählt, dass er in den Pyrenäen von der Grenzpolizei gefragt wurde, was er mit den gelben Pfeilen bezwecke. Seine Antwort: „Ich bereite eine grosse Invasion vor.“ Wie weitsichtig er doch war. Wir trafen einen jungen Pilger, der ohne Dokumentation und Karte unterwegs ist und nur den gelben Pfeilen folgt.
Der nächste Tag begann, wie der Vortag geendet hatte. Trüb, dichter, nasser Nebel bis an den Boden und kalt. Schade für die schöne verpasste Aussicht. So wurden die wasserdichten Socken, die langen Hosen, Regenjacke und Sicherheitsweste aus den Satteltaschen geholt. Im dichten Nebel ging es auf den ersten 10 km stetig bergauf und bergab bis zum Alto do Poio auf 1370 m.
Pilgerdernkmal Alto do Poio
Anschliessend wartete eine 22 km lange Talfahrt nach Samos auf uns.
Kloster Samos
Durch den Nebel hörte man Kuhglocken und es roch nach Kuhmist. Anscheinend ein deutliches Zeichen dafür, dass man in Galizien ist, denn hier ist alles anders. Es ist überall grün und hügelig, es gibt zahlreiche Dörfer und Weiler mit landwirtschaftlichen Betrieben, ähnlich dem Schweizer Voralpengebiet.
Die grossartigen Baudenkmäler sind verschwunden und wurden durch kleine Landkirchen ersetzt. Die Häuser bestehen alle aus Stein und die Dächer aus Schiefer, die Landbevölkerung spricht die Regionalsprache Galego. Auf der Speisekarte wird wieder vermehrt Käse angeboten.
Je tiefer wir ins Tal kamen, desto wärmer wurde es, der Nebel hatte sich aufgelöst und ein wolkenloser Himmel trat in Erscheinung. Bald mussten wir unsere warmen Kleider vom Leib reissen.
Am Abend beim Bummel durch Sarria fanden wir Kirschen aus dem Bierzo für Euro 2.99/Kilo. Klar, dass wir davon kosten mussten.
Was den Nebel anbelangt, gab sich Galizien ein weiteres Mal alle Ehre. Kaum hatten wir unsere Räder bestiegen, lockerte er sich jedoch auf und es wurde schon früh ein herrlicher, sonniger, warmer Tag. Wir waren vorgewarnt und wussten, dass keine leichte Etappe vor uns stand. Zwar mussten wir keine hohen Berge mehr erklimmen, dafür stetiges auf und ab. Am Abend staunten wir nicht schlecht, als wir sahen, dass wir mehr als 1000 Höhenmeter bergauf und 700 Höhenmeter bergab in den Pedalen hatten.
Ca. 20 km nach Sarria erreichten wir am Rio Mino den Ort Portomarin. Das ursprüngliche Dorf, einst der blühendste und reichste Ort Galiziens, verschwand in der Mitte des letzten Jahrhunderts im Wasser. Der Fluss wurde gestaut und ein neues Dorf auf dem Hügel wurde gebaut. Einzig die beiden Kirchen San Pedro und San Nicolas wurden Stein für Stein abgetragen und am neuen Ort wieder aufgebaut.
Potomarin
Ansonsten war Natur pur das Thema dieses Tages. Die Bauern waren fleissig am Mist- und Jauche-führen. Jedes Mal, wenn sie uns mit ihren Traktoren überholten, liessen sie einen Teil ihrer Fuhr vor unserer Nase liegen. So hatten wir den ganzen Tag den feinen Duft in der Nase – eigentlich wie zu Hause! In einer ausgedienten Grube waren die Frösche im Liebetaumel und quakten, was das Zeug hielt. Ich hatte fast Angst um Armin, war er doch heute in seinem grünen T-Shirt als Froschkönig unterwegs. Eine Wiese daneben war übersäht von wilden, gelbblühenden Lupinen, dazwischen dunkelrosa Fingerhut. Die Smaragdeidechse war im Laub verschwunden, bevor ich den Fotoapparat zücken konnte. An manchem lauschigen Ort, der zum Verweilen einlud, fuhren wir vorbei.
Horrea - Galizischer Getreidespeicher
Wären wir jedes Mal unserer Lust gefolgt, wären wir überhaupt nie an unserem Ziel, Palas de Rei, angekommen.
Inzwischen sind wir auf den letzten 100 km vor Santiago de Compostela angekommen. Das heisst, ab jetzt ist einiges los auf dem Pilgerweg. Damit das Pilgerbüro in Santiago die Pilgerreise bestätigt und die Compostela ausstellt, müssen die letzten 100 km nach Santiago marschiert, oder die letzten 200 km mit dem Fahrrad gefahren sein. Der Pilgerpass muss täglich abgestempelt werden, sei es in einer Herberge, Hotel, Touristeninformation oder Kirche. So begannen viele unserer Weggefährten ihre „Pilgerreise“ bei der Kilometer-Marke 100. Sie kommen jeweils mit dem Flugzeug an, werden mit einem Bus zu dieser Wegkreuzung gefahren und treten ihre Wanderschaft mit einem leichten Tagesrucksack (wenn überhaupt) an. Ihr Gepäck wird im Bus von Unterkunft zu Unterkunft gebracht und mittags bauen Busfahrer und Begleitpersonal einen Verpflegungsstand auf, um die Hungrigen zu versorgen. Am Abend bettet man sich etwas abseits des Weges zur Ruhe. Es ist wohl klar, dass sich jeder Langzeitpilger etwas seltsam fühlt bei diesem Spektakel. Mit der ruhigen Wanderschaft oder dem Zusammengehörigkeitsgefühl ist es von nun an vorbei, der Pilgergruss „Buen Camino“ verschwindet. Andererseits muss man auch erkennen: Wie viele Leute sind in unserer Wohlstandsgesellschaft schon 100 km gewandert?
Auf der heutigen Etappe wollten wir möglichst nahe an Santiago de Compostela herankommen, um am nächsten Tag einen grossen Kampf zu gewinnen. Die Erfahrungen in Leon hatten sich bewährt. Einerseits gab es den Kampf um die Zentimeter auf der Hauptstrasse, andererseits wird es eventuell am Ziel vieler Pilger einen Kampf ums Bett geben. Pfingsten steht bevor und da soll Santiago jeweils total ausgebucht sein.
In die spanischen Strassen wurde sehr viel Geld investiert. Sie sind sehr gut ausgebaut und jede Strasse verfügt an der Seite über einen mehr oder weniger breiten Sicherheitsstreifen. So konzentrierten wir uns vorerst auf unseren zugeteilten Platz auf der Hauptstrasse. Nach einigen Kilometer nervten uns jedoch die vorbeisausenden Autos. Wir machten einen erneuten Versuch auf dem Pilgerweg zu fahren, erst auf einer Asphaltstrasse, dann im Kies und schliesslich auf einem idyllischen, schattigen, aber holprigen Waldweg, der auf grossen Steinen durch einen Bach führte.
Wer sein Velo liebt - der schiebt!
Auf dem Weg waren Scharen von Pilgern unterwegs, die wenig Verständnis hatten für Radfahrer und bei der Bachüberquerung kaum Geduld mit uns hatten. Wir akzeptierten unser Schicksal und flüchteten bei der nächsten Gelegenheit wieder auf die Strasse. Bald merkten wir, dass wir auch bei der Hotelsuche nicht mehr wählerisch sein dürfen. Schliesslich nahm uns doch noch eine Pension in Pedrouza, 20 km vor Santiago de Compostela auf. Zwar mussten wir das Bad teilen, was aber auch kein Problem darstellte. Wir, als Radpilger sind meistens vor den Fusspilgern am Ziel und schlafen am Morgen länger als die Marschierenden.
Heute waren wir früh wach und voller Tatendrang, galt es doch die letzten Kilometer nach Santiago zu bewältigen und einige Kämpfe zu gewinnen. Wieder liess uns dichter Nebel die Sicherheitswesten aus dem Gepäck zupfen. Um 8:15 h waren wir bereits startbereit. Wieder ging der Kampf um die Zentimeter am Strassenrand los. Durch den Nebel hörten wir über uns ein startendes Flugzeug vorbeidonnern, das wahrscheinlich eine Ladung Pilger in die Heimat zurückbrachte. Der Flughafen liegt bei Lavacolla, wo sich einst die mittelalterlichen Pilger jeweils im Bach wuschen, um sauber und wohlriechend am Grab des Apostels anzukommen. Angesichts der hygienischen Verhältnisse ein sinnvolles, wenn auch mit grösster Wahrscheinlichkeit auf ein Missverständnis beruhendes Ritual. Ein französischer Mönch, Verfasser eines mittelalterlichen Pilgerführers, soll die Bedeutung von Lavacolla falsch interpretiert haben. Statt korrekt „voller Geröll“ verstand er „Lava Colea“ was so viel bedeutet, wie die Genitalien waschen. Wir hatten im Hotel eine gute Duschgelegenheit, so verzichteten wir auf dieses Ritual.
Wenig später erreichten wir zusammen mit vielen Pilgern den „Berg des Genusses“, den Monte de Gozo.
Berg des Genusses - im Nebel
Millionen von Freudenschreien sind im Laufe der tausendjährigen Pilgergeschichte von die-sem Berg ausgestossen worden sein. Früher sah man von diesem Punkt, bei nebelfreier Lage, bereits die Türme der Kathedrale von Santiago de Compostela. Heute ist diese Sicht verdeckt von den Neubauten in der Vorstadt. Von hier sind es nur noch einige wenige Kilometer bis ans Ziel. Vor den Toren der Stadt wurde eine Busladung voller italienischer Sonntagsschuhpilger abgeladen, die Richtung Kathedrale schlarpten. Dann genügte kein „Buen Camino“ mehr, um sich Platz zu verschaffen. Da mussten wir schon lauter werden. Aber heute gewannen wir alle Kämpfe, selbst den mit der Bettensuche. Gleich im Zentrum, nahe der Kathedrale, fanden wir eine ansprechende Pension, mit geschmackvoll ausgebauten Zimmern in altem Gemäuer. Selbst für die Fahrräder war gesorgt. Neben der Recéption sind Aufhängevorrichtungen für Velos angebracht.
Räder in die Höhe strecken und 2 Tage nichts tun.
Einzig an den Lärm in der Nacht hatten wir nicht gedacht. Kaum waren die Schwärmer ruhig, fuhr die Strassenputzmaschine einige Male vor unserem Zimmer vorbei.
Als wir in einer Bar bei einer Tasse heissen Schokolade sassen, kamen wir mit einem erfahrenen deutschen Pilger ins Gespräch. Er machte uns darauf aufmerksam, dass heute in der Kathedrale der „Botafumeiro“ aufgehängt sei, der sonst in der Bibliothek seinen Platz hat, und dass der bei der heutigen Pilgermesse um 12:00 mittags sicher in Betrieb komme. Der Botafumeiro ist ein 60 kg (gefüllt 100 kg) schweres und 1,6 m hohes versilbertes Weihrauchgefäss und kommt nur bei bestimmten Gelegenheiten zum Einsatz. Ist ja klar, heute war so eine besondere Gelegenheit, die Meilis aus Madetswil waren da!
Bottafumeiro
Früher machte er den strengen Körpergeruch der Pilger etwas erträglicher, heute ist es ein Spektakel, wenn er am 35 m langen Seil hängend durch das Querschiff geschwenkt wird.
Zweimal ist er dabei schon übers Ziel hinaus und aus der Kirche geschossen. Betreffend Körpergeruch stimmte die Interpretation von Lavacolla vielleicht doch nicht? Heute gibt’s zum Glück Rexona und andere wohlriechende Wässerchen.
Wir wollten diesem Spektakel ebenfalls beiwohnen und hasteten rasch in die Kathedrale, wo die Pilgermesse in der prallvollen Kirche bereits im Gange war. Artig stellten wir uns hinten an und waren genau an der richtigen Stelle um dieses Geschehen zu verfolgen. Unwahrscheinlich, wie viele Fotoapparate und Handys in die Höhe schossen, als der Weihrauch angezündet wurde. Dabei wurde es uns eigenartig zu Mute. Uns wurde bewusst, dass wir seit Genf diesem Weg gefolgt waren, vieles dabei erlebt hatten, viele interessante Begegnungen und Gespräche hatten und plötzlich waren wir an unserem ersten grossen Zwischenziel. Wehmut und auch ein wenig Stolz machte sich breit.
Kathedrale Santiago de Compostela
Altar mit dem Apostel Jakobus
Da wir natürlich einwandfreie, regelmässig abgestempelte Pilgerausweise haben, holten auch wir im Pilgerbüro unsere Compostela ab. Man weiss ja nie, vielleicht brauchen auch wir nochmals einen neuen Job!
Zwei Tage ruhten wir uns in Santiago de Compostela aus. Die Stadt ist nicht nur ein religiöses Zent-rum, sondern auch eine lebendige Universitätsstadt mit vielen Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants-und Bars.
Das andere Santiago mit Park und Vergnügungsviertel
Bei diesem Angebot hatten wir keine Probleme unsere Zeit zu vertreiben. Am zweiten Morgen unseres Ruhetages goss es wie aus Kübeln, was uns veranlasste ohne schlechtes Gewissen, das Leintuch nochmals über die Ohren zu ziehen. Aber dann, am nächsten Tag, als das Unwetter vorbei war, packte uns erneut unsere Reiselust.
Schon im Mittelalter war die Pilgerreise für viele in Santiago de Compostela noch nicht zu Ende, sondern sie wanderten weiter ans Capo Finisterra. Dieser Ort, ca. 100 km hinter Santiago de Compostela gelegen, war schon für die Kelten, Phönizier und Römer ein spezieller Ort und sie feierten hier ihre Riten. Auch heute wandern viele Pilger weiter ans „Ende der Welt“, andere besuchen diesen Ort per Bus. Die Infrastrukturen sind auf diesem Wegstück nicht so gut ausgebaut wie auf dem Camino francés. Die lauschigen Plätzchen fehlen, vor allem aber die Unterkünfte. Wir wussten also, dass wir heute vorwärts fahren mussten und keine Zeit vertrödeln konnten. Ohne Irrwege durch die Aussenquartiere verliessen wir die Stadt und machten uns auf, durch den Gemüsegarten und die Eucalyptuswälder im Westen Galiziens. Die Eucalyptuswälder sind nicht ganz unproblematisch. Irgendwann wurden Samen dieser Pflanzen aus Australien nach Spanien importiert. Diese Bäume fühlten sich hier rasch heimisch und gediehen wunderbar.
Während der Franco-Diktatur wurden viele Gebiete mit Eucalyptusbäumen aufgeforstet. Diese Pflanzen brauchen erstens viel Wasser, zweitens gedeihen sie wie Unkraut und verhindern so das Wachstum einheimischer Pflanzen. Nicht einmal ein Waldbrand könnte sie dezimieren. Um das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen, werden diese Waldgebiete jetzt wieder gerodet und mit einheimischen Laub- und Nadelhölzern aufgeforstet. Auf unserer Fahrt wurden wir von unzähligen holzbeladenen Lastwagen überholt.
Etwas abseits der Strasse fanden wir eine kleine Bar für einen Durststopp. Die Bar war in einem neueren, stattlichen Haus untergebracht. Der Besitzer outete sich bald als ehemaliger Schweizer Gastarbeiter. 20 Jahre habe er in unserem Land gearbeitet, bis 16:00 in der Chemiefabrik, anschliessend für eine Reinigungsfirma. So hätte er Fr. 7000.00 monatlich verdient und konnte so sein schönes Haus in Galizien finanzieren, ohne jegliche Hypotheken der Bank. Sehr viele Männer aus dieser Gegend hätten ihr Geld in der Schweiz verdient. Alle neuen Häuser in der Umgebung wärenso mit Schweizer Geld gebaut worden.
Beim Einkauf im kleinen Lebensmittelladen, einige Dörfer weiter, wurden wir sehr freundlich von dessen Inhaber bedient. Er fragte uns nach unserem Ziel. Als wir ihm erzählten, dass wir aus der Schweiz mit dem Fahrrad hierhergefahren wären, erhellte sich sein Gesicht und es gab noch 2 Guetzli umsonst in unsere Tüte. Auch er erzählte uns, dass sehr viele „Gallegos“ in der Schweiz arbeiten würden. Wir hatten das Gefühl, die Schweiz sei für ihn das gelobte Land, wo Milch und Honig fliesst. Anschliessend gab er uns noch gute Tipps für die Weiterreise, die wir glücklicherweise befolgt hatten.
75 km mit 900 Höhenmeter bergauf und 1100 Höhenmeter bergab mussten wir hinlegen bis wir eine Bleibe für die Nacht fanden. Auf der Talfahrt nach Cée erblickten wir erstmals den atlantischen Ozean.
In dem breiten, grossen Bett schliefen wir wie die Murmeltiere. Nach dem Frühstück nahmen wir den letzten Rest zum Kilometer-Punkt 0 auf dem Jakobsweg in Angriff. Es verblieb nur noch ein kleines Stück zu radeln, deshalb kamen wir bereits vor Mittag an. Irgendwie führte uns ein Wegweiser zu einem kleinen Bijou von Hotel auf den Hügel vom Fischerdorf Finisterra.
Finisterra - Das Ende der Welt in Sicht!
Zwar eher für uns in der oberen Preisklasse, aber nach fast 2400 km auf dem Rad, durften wir uns diesen Luxus gönnen. Wir deponierten unsere Räder samt Gepäck. Das letzte Stück zum Leuchtturm legten wir zu Fuss zurück und genossen den Spaziergang rund um das Kap.
Beim Leuchtturm hofften wir auf eine Bar oder ein Restaurant, um unser Hüngerchen zu stillen. Alles war vorhanden, aber geschlossen! Einzig an einem Stand wurde verschiedenes Gebäck, alles Packungen in Grösse XXL und frische Kirschen aus dem Bierzo feilgeboten. Wir entschieden uns für die Kirschen.
Bis heute hält sich die aus mittelalterlichen Pilgerberichten überlieferte Tradition, die auf der Wanderung getragene Kleidung – oder zumindest Teile davon – beim Leuchtturm zu verbrennen. In der richtigen Reihenfolge ausgeführt – Bad im Meer, Verbrennen der Kleidung, Betrachten des Sonnenuntergangs – verspricht das Ritual, am nächsten Tag als neuer Mensch zu erwachen. Also mit dem Bad im Meer hatten wir der Temperatur wegen so unsere Mühe, zum Verbrennen unserer Kleidung waren wir wahrscheinlich zu geizig (Arbeitskleider konnten wir wegen Platzmangel leider nicht mitnehmen) und mit dem Sonnenuntergang schien es auch nicht zu klappen. So werden wir die Alten bleiben, obwohl diese Reise uns sicher auch verändert hat.
So marschierten wir wieder zum Hafen von Finisterra zurück. Dort gibt es eine kleine Statue: ein Galizier mit dem Koffer in der Hand. Er steht für die vielen, die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Bedingungen ihr Glück in der neuen Welt suchten. In der Zeit von 1836 bis 1980 sind alleine 2,5 Millionen Menschen, zumeist Männer emigriert.
Auswandererdenkmal Finisterra
Nun sind wir also beim Kilometerpunkt 0 des Jakobweges angelangt.
km 0.000 vom Pilgerweg erreicht!
Wir sind froh, dass wir diesen Weg als Wegweiser gewählt hatten. Wir hatten viele Begegnungen und Gespräche mit interessanten Leuten aus aller Welt und wir fragen uns, wie es dem einen oder anderen ergangen ist.
Was für ein Schicksal verbirgt sich hinter diesem Schuh?
Wie weit ist Monsieur Ducommun, unsere erste Begegnung nach Genf? Wie geht es dem Bretonen Patrick und der sympathischen Walliserin Fréderique, die sich auf diesem Weg gefunden haben? Wo sind wohl die zwei bayrischen, aufgestellten Mädels Monika und Carola, die wir zwischen Molinaseca und O Cebreiro immer wieder getroffen hatten. Wie hat der Mann aus Belgien, den wir kurz vor Santiago getroffen haben, schliesslich sein Ziel erreicht? Nach einer schweren Krebsoperation am Hals, verursacht durch Passivrauchen, hat er sich mit dem 50 kg schweren (inkl. Gepäck und Ersatzbatterie) Elektro-Bike alleine auf den Weg von Belgien nach Santiago gemacht, in der Hoffnung, die Krankheit so zu besiegen. Als wir ihn trafen war er völlig entkräftet und demoralisiert. So hat jeder seine Erwartungen und Hoffnungen in den Jakobsweg. Wer mit Problemen gestartet ist, hat vielleicht eine Lösung gefunden – oder auch nicht! Es gibt einige Streckenabschnitte, die uns reizen würden einmal zu Fuss zu gehen. Wer weiss, vielleicht packt es uns einmal! Aber wir haben noch so viele Ideen. Nun können wir auch verstehen, dass man vom Pilgerweg-Virus gepackt werden kann. Es gibt ja ein ganzes Netz davon durch ganz Europa. Armin beteuerte immer sehr strikt, dass er kein Pilger sei. Kaum gab es aber irgendwo Pilgerrabatt, war er ein überzeugter Pilger.
Die Schweizer Radfahrer waren nicht schlecht vertreten. Alle haben sie uns überholt! Manchmal mussten wir auch schmunzeln. Meist waren es zwei Kollegen, die da zusammen unterwegs waren; der Eine sportlich und drahtig, der Andere etwas weniger sportlich und weniger drahtig. Jedes Mal, wenn wir uns trafen und wir sagten: „Heute ist für uns Feierabend“ wurden wir vom Letzteren be-neidet, weil er noch weiterfahren musste.
Im Geiste lassen wir nochmals die Regionen Rioja, Meseta, Paramo, La Maragarita, El Bierzo und das grüne Galizien an uns vorbeiziehen, erfreuen uns nochmals an den Störchen, die zwischen Burgos und Astorga jeden Kirchturm besetzt hatten. Wir haben immer noch den Kuckuck im Ohr, der uns von Genf bis Santiago de Compostela täglich begleitet hatte.
Das Wetter in Spanien war mit wenigen Ausnahmen trocken. Was uns jedoch immer wieder herausforderte, waren die grossen Temperaturunterschiede. Am einen Tag lechzten wir nach kühlen Getränken, am anderen Tag nach heisser Schokolade. Spanien ist eben mehr als Sonne, Palmen, Sand, Strand und Ballermann. Das mussten auch diejenigen jungen Pilger erfahren, die in St.Jean-Pied-de-Port in kurzen Hosen und Trägerhemd gestartet waren, in der Meinung, sie würden ja im Sonnenland Spanien wandern, und dann auf dem Ibañeta-Pass vom Schnee überrascht wurden.
Wir mussten feststellen, dass es in Spanien XXl-Bodegas und XXL Getreidesilos gibt. Unsere kosmetischen Vorräte sind langsam aufgebraucht und wir müssen jeweils Ersatz suchen, der in unser Gepäck passt. Kein leichtes Unterfangen! Die Packungen sind alle XXL, dazu noch Aktion, das heisst noch 50 % mehr Inhalt! So wird es langsam Zeit unsere Satteltaschen völlig zu entrümpeln und die ganz warmen Kleider nach Hause zu schicken. Schliesslich ist ja bald Juni!
Das nächste grosse Zwischenziel ist Tarifa, die südlichste Spitze der iberischen Halbinsel. Nun fragen wir uns, ob wir hier im Hafen nicht besser ein Pedalo kaufen sollten, um diese Ziel zu erreichen. So wäre alles auf Meereshöhe und es gäbe keine hohen Berge zu erklimmen!